Nacherzählung eines erschreckend plastischen Traums aus dem Frühjahr 2022.

Schrei nach Atem

Machen sie bitte ihre Augen zu.

Nun schließen sie den Mund.

Atmen sie tief durch die Nase ein, und wieder aus.

Lange, tiefe Züge.

Lange — tiefe Züge.


Es gibt nun genau zwei Arten von Menschen, welche, die sich fragen, worauf ich überhaupt hinaus will und andere, deren Puls ruckartig anstieg und deren Pupillen sich mit der aufkommenden Panik weiteten.


Durch die verhüllten Fenster traf nur ein schummeriges Licht hinein. Das Zimmer war mit schweren Stoffen an der Wand drapiert. In seiner Mitte stand ein einzelner, kleiner Tisch. Auf dem Tisch ein einzelner silberner Teller. Und auf dem Teller, ein einzelner Karamellquader.

Ich näherte mich dem Tisch, hob den Teller hoch und betrachtete den Quader von Nahem. Der silberne Teller fühlte sich überraschend leicht an, ganz im Gegensatz zu seinem Inhalt. Der wie ein bleierner Block auf ihm zu ruhen schien.

Gar keine Frage, ich musste ihn einfach probieren.

Sofort verspürte ich, dass der karamellartige Block etwas die Zähne verklebte. Das Gefühl kennend, biss ich mit Vorfreude und ohne Zurückhaltung stärker zu. Ich wollte im süßen Geschmack mit der interessanten Klebrigkeit gänzlich aufgehen.

Doch als die Zähne zusammentrafen und nun die umgekehrte Richtung einschlagen wollten, merkte ich, dass etwas anders war. Sie bewegten sich nicht. Gleich blieben meine Lippen ebenfalls verschlossen. Ich merkte wie die Haut um meinen Mund unter dem Zug der darunterliegenden Muskulatur spannte, aber die Lippen trennten sich nicht.

Der Karamell schien im Mund angeschwollen zu sein — ja füllte ihn aus. Er breitete sich bis zum Rachen nach hinten aus, bis die Masse auf den Gaumen drückte.

Meine Augen weiteten sich. Der zweite Versuch meinen Kiefer zu öffnen verlief mit aufkommender Panik. Aber nichts bewegte sich. Egal wie sehr ich versuchte.


Haben sie schon einmal morgens direkt nach dem Aufstehen eine Faust mit ihrer Hand geformt und versucht so fest wie möglich zuzudrücken? Ein unangenehmes Gefühl. Man hat keine Kraft und auch keine Möglichkeit mehr Kraft aufzubauen. So fühlte sich meine Kiefermuskulatur damals an.


Im vierten Versuch versuchte ich mit meinen Händen die Kiefermuskulatur zu unterstützen. Den Mund regelrecht aufzureißen. Die sozialen Konventionen, nach denen man beim Essen von Süßigkeiten von silbernen Tellern handelt, waren längst über Bord geworfen. Ohne Erfolg.

Erst jetzt wurde mir bewusst, was meinem Körper schon lange klar war — ich war am Ersticken. Ich musste mich beruhigen. Tief durch die Nase einatmen und wieder aus. Lange, tiefe Züge. Lange. Tiefe. Züge.

Aber egal wie lange mein Atem war, egal wie lange sich mein Brustkorb anhob, ich hatte nicht das Gefühl, dass auch nur annähernd genug Luft einströmte. Bereits nach der zweiten Wiederholung wurde mein Zug abrupt kürzer. Ein Hecheln begann. Die Nasenflügel gaben sich zu Scheidewand hin und der Kanal verengte sich weiter. Der Puls stieg. Panik breitete sich aus. Ich versuchte mich zu beruhigen und die Atmung zu stabilisieren. Wenn ich mich nur beruhigen würde, so würde ich wahrscheinlich genügend Luft bekommen. Doch der Körper gehorcht nicht und der Schrecken wird unumgänglich größer und größer.

Ich stürzte auf, der Stuhl fiel hinter mir um und der silberne Teller klirrt auf die Holzdielen. Schreckens erfüllt wirrte mein Blick durchs dunkle Zimmer. Ich hastete zum Kabinett, riss die Fächer auf und fand ein Messer.

Halb schneidend, halb stemmend hantierte ich mit dem scharfen Gegenstand in meinem Mund. Den großen metallenen Hebel an meinen Zähnen verspürend wachte ich schweißgebadet in meinem Bett auf.